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"Menschen, Tiere und Kanonen"

 Text by Madeleine Städtler 

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Die Berliner Künstlerin Frieda Lohr [*1985] bevorzugt für ihre abstrakten Werke große Formate in Acryl, häufig komplettiert durch alltägliche Stoffe wie Kaffee und Rotwein.

Mit deren Verfremdung als Malutensilien jenseits des herkömmlichen Nutzungshorizonts hinterfragt sie einerseits tradierte Vorstellungen von Materialgerechtigkeit und Identität, andererseits stellt sich die Künstlerin damit auch in eine experimentelle Tradition, wie sie von Victor Hugo bis Joseph Beuys oder Gunther Keusen zu sehen ist.

Für »Menschen, Tiere und Kanonen – Vom Leben der Vereine« füllt Lohr eine Wand von drei mal sechs Metern mit einer durch die Sambagruppe Movimento beeinflussten Arbeit, die durch Duktus und Farbgebung die Trommelklänge visuell erlebbar macht.

In ihrer Zusammenarbeit geht sie der Frage nach, wie sich das norddeutsch-kühle

Naturell mit der lateinamerikanischen Leidenschaft für Musik vereint.

 

Der Tanz als emotional-kultische Ausdrucksform des Menschen hat die Bildende Kunst seit ihren Zeugnissen in der frühgeschichtlichen Felsmalerei bis heute inspiriert.

Aus der UÅNberfülle bildnerischer Tanzdarstellungen in der abendländischen Malerei sei an die dionysischen Tänze in der griechischen Vasenmalerei erinnert, an die tanzenden Kinder an der florentinischen Sängerkanzel von Donatello oder den ekstatischen »Tanz der Salome« [1895] von Max Slevogt.

Ihnen allen liegt die enge Verbindung von Malerei und Musik zugrunde. »Ut pictura musica – die Musik ist wie ein Gemälde« lautet die Abwandlung der horazischen Formel »ut pictura poesis«, die der Verbindung der bildenden und literarischen Künste dient. Künstler aller Sparten sorgen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert für das Verschwimmen der bis dato streng gezogenen Grenzen zwischen Bildkunst und der Musik: Bereits Johann Wolfgang von Goethes Traktat »Zur
Farbenlehre« von 1810 ordnet den Farben spezifische Wahrnehmungen von gemein [blau] bis edel [orange] zu.

Ab 1839 wird der Komponist Franz Liszt von Raffaels Gemälde der Vermählung Mariens »Lo Sposalizio« [1504] und durch Michelangelos Skulptur Lorenzo de Medicis »Il Penseroso« [um 1533] zu seinen gleichnamigen Klavierstücken angeregt.

Umgekehrt lässt sich sein Zeitgenosse Eugène Delacroix für seine Malerei von dem engen Freund Frédéric Chopin inspirieren.
Die Bauhauslehrer Paul Klee und Wassily Kandinsky, die im Fin de Siècle die endgültige Aufhebung der Trennung von Musik und Bildender Kunst personifizieren, bedienen sich musikalischer Termini wie Klang,
Symphonie und Rhythmus für ihre theoretischen Abhandlungen und Werktitel. Als zeitgenössisches Beispiel für die Visualisierung von Musik sei der Experimentalfilm »Virtuos Virtuell« [2010 – 2013] von Thomas Stellmach und Maja
Oschmann angeführt. Dieser bebildert Louis Spohrs Ouvertüre zur romantischen Oper »Der Alchymist«
[1829 – 1830] und macht den Pinselstrich zum Protagonisten, der nur durch Tuschverläufe seine Geschichte
abstrahiert. Während »Virtuos Virtuell« musikabhängig mit fließenden Bewegungen des Pinsels und gedeckten
Grauchanchierungen inszeniert wird, fordern die Trommeln von Movimento einen expressiven Duktus und eine satte Farbigkeit von Lohr.
Wie Emil Nolde bereits vor 100 Jahren von den Trommelklängen und ekstatischen Tänzen auf seiner Reise von Norddeutschland zur papua-neuguineischen Südsee zu seiner »Tänzerin« [1913] inspiriert wurde, so entwickelt Lohr eine ähnliche, wenn auch nicht mehr gegenständliche Bildsprache, die den antreibenden Beat der Trommeln zu einem visuellen Klanggerüst werden lässt.

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